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Stellungnahme zur Initiative GG 5.3 Weltoffenheit


Initiative GG 5.3 Weltoffenheit - Quelle: Humboldt Forum / © SHF / Foto: Stephan Falk

Der New Israel Fund Deutschland (NIF-D) ist der deutsche Zweig der US-amerikanischen und israelischen Organisation, die seit mehr als 40 Jahren zivilgesellschaftliche Initiativen für die Förderung von Demokratie und Menschenrechten in Israel unterstützt.


Wir solidarisieren uns mit der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ und ihrem Appell für eine kontroverse demokratische Debattenkultur. Wir begrüßen das Plädoyer ihrer Initiator:innen, weil wir sowohl deren Bekenntnis „gegen Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus und jede Form vom gewaltbereitem religiösem Fundamentalismus“ als auch deren Kritik an einer missbräuchlichen Verwendung des Antisemitismusbegriffs in den gegenwärtigen politischen Debatten teilen. Mit Sorge beobachten wir, dass durch diesen Missbrauch der Kampf gegen den Antisemitismus hierzulande Schaden nimmt, als auch Bemühungen für eine gemeinsame Zukunftsperspektive im israelisch-palästinensischen Konflikt in Mitleidenschaft gezogen werden.


Die Bekämpfung von Antisemitismus steht im Zentrum des politischen Selbstverständnisses des New Israel Fund Deutschland. Als eine spezifische Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit war er die zentrale Antriebskraft hinter dem Menschheitsverbrechen der Shoah. Doch auch in der Gegenwart stellt der Antisemitismus weiterhin eine Bedrohung für jüdisches Leben in Deutschland und andernorts dar. Antisemitismus ist auf keine gesellschaftliche, soziale oder ethnische Gruppierung begrenzt, ist jedoch vor allem am rechten Rand des politischen Spektrums zunehmend aggressiv.


Eine Schwierigkeit im Kampf gegen den Antisemitismus besteht in der Kontroverse über seine Definition. Viele glauben, dass es möglich ist, sich auf die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu verlassen, die inzwischen von 28 Staaten und zahlreichen Organisationen und Universitäten angenommen wurde. Allerdings ist diese Arbeitsdefinition inzwischen selbst Gegenstand von politischen Kontroversen. Jüngst haben zehn progressive jüdische Organisationen in den USA, darunter der New Israel Fund, die ins Amt kommende Biden-Administration aufgefordert, die Antisemitismus-Definition der IHRA nicht in die Form eines bindenden Gesetzes zu erheben. Ein solches Vorgehen nämlich könne vor allem im Blick auf die Beispiele, die der Arbeitsdefinition beigefügt wurden, zu einer Beeinträchtigung des Rechtes auf Redefreiheit führen. Auch deshalb ist der IHRA-Definition jetzt die wesentlich differenziertere „Jerusalem Declaration on Antisemitism“ gegenübergestellt worden.


Erschwert wird der dringende Kampf gegen jede Art der Judenfeindschaft, weil der Vorwurf des Antisemitismus in politischen Debatten über den israelisch-palästinensischen Konflikt zusehends eine missbräuchliche Verwendung erfährt. Wiederkehrend werden Äußerungen zum israelisch-palästinensischen Konflikt als antisemitisch denunziert, wenn sie über das Paradigma der Zwei-Staaten-Regelung hinausdenken. Sogar Kritik an der seit dem Sechstagekrieg 1967 anhaltenden, völkerrechtswidrigen israelischen Besatzung des Westjordanlandes und Gazas wird als antisemitisch delegitimiert.


In Israel selbst attackieren und diffamieren rechtsnationalistische Gruppierungen unterschiedliche besatzungskritische Initiativen und Menschenrechtsorganisationen – unter anderem auch den New Israel Fund. Dabei finden auch Bilder und Begriffe Verwendung, die dem Repertoire des klassischen europäischen Antisemitismus entstammen, wenn etwa ein weltumspannender Einfluss des Philanthropen und Investors George Soros insinuiert wird. Zugleich scheint es für diese Kräfte in Israel, einschließlich der Likud-Partei von Ministerpräsident Netanyahu, unproblematisch, mit antisemitischen oder rassistischen Akteuren – wie etwa der ungarischen Fidesz-Partei und in der vormaligen Trump-Regierung – zu kooperieren, wenn es der eigenen politischen Agenda dient.


Eine missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusbegriffs war auch in den Reaktionen auf die Initiative GG 5.3 Weltoffenheit zu vernehmen. Anlass war deren Positionierung zu der Anti-BDS-Resolution des Deutschen Bundestags vom Mai 2019. Darin werden die Argumentationsmuster und Methoden der Boykott-Divestment-Sanctions-Kampagne (BDS) als antisemitisch bezeichnet. Zwar hatten die Autor*innen des Plädoyers der BDS-Kampagne eine deutliche Absage erteilt. Gleichzeitig warnten sie vor einer „Logik des Boykotts“, „die die BDS-Resolution des Bundestages ausgelöst hat“, und in deren Folge „wichtige Stimmen beiseite gedrängt und kritische Positionen verzerrt dargestellt“ wurden. Dies löste vor allem eine Welle der Empörung aus: schnell war von Israelhass, Judenfeindschaft und Antisemitismus die Rede. Eine substantielle inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Plädoyer unterblieb zumeist.


Vielmehr wurde bestritten, dass der Bundestagsbeschluss zu einer Gefährdung der Meinungsfreiheit geführt habe. So gebe es in der deutschen Öffentlichkeit eine vielfältige Debattenlandschaft, die nicht nur kritischen Stimmen zur israelischen Regierungspolitik Raum biete, sondern sogar politisch fragwürdige Positionen beinhalte. Dies trifft durchaus zu. Doch der Anti-BDS-Beschluss des Bundestages führte eben auch zu einem zunehmenden Klima der Verunsicherung und Einschüchterung. Schon vor und auch nach diesem Beschluss wurde – zum Teil erfolgreich – versucht, Veranstaltungen zu verhindern. Dabei kommt oftmals die Logik einer Art „Kontaktschuld“ zur Anwendung: Einzelpersonen bzw. Organisationen werden schon dann als anti-israelisch oder antisemitisch verurteilt, wenn sie angeblich oder tatsächlich in Kontakt zu bestimmten Personen oder Organisationen stehen, denen die Unterstützung der BDS-Kampagne vorgeworfen wird. Politisch besorgniserregend ist zudem die Entstehung einer Diskurskultur, in der die kritischen Positionen von Israelis zu Geschichte und Gegenwart des israelisch-palästinensischen Konflikts – eines sie existentiell betreffenden Konflikts – als unerwünschte oder gefährliche Störung empfunden werden, sofern sie sich nicht den Maßgaben deutscher Gedenkpolitik zu fügen scheinen. Auch der New Israel Fund Deutschland musste die Erfahrung von Ausgrenzung machen, weil ihm aus rechtsnationalistischen Kreisen in Israel und von der AfD in Deutschland „BDS-Nähe“ vorgeworfen wurde.


Der New Israel Fund unterstützt die BDS-Kampagne nicht. Dies würde seinem Selbstverständnis und seiner Arbeitsweise diametral entgegenstehen, die darin bestehen, israelische zivilgesellschaftliche Organisationen politisch und finanziell dabei zu unterstützen, die Demokratie zu sichern und zu stärken sowie Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit und Frieden zu fördern. So unterstützte der New Israel Fund alleine im Jahr 2019 seine Partnerorganisationen in Israel mit über 22 Millionen Euro.


Gleichzeitig halten wir es für fragwürdig, die BDS-Bewegung in die Tradition des Nationalsozialismus zu stellen, so als würde der Aufruf zum Boykott gegen den Staat Israel dem nationalsozialistischen Boykott gegen die deutschen Juden gleichen. Denn zum einen relativiert dies die deutschen Verbrechen. Zum anderen macht die Beschreibung der BDS-Kampagne in Bildern der NS-Vergangenheit die realen und historischen Umstände des israelisch-palästinensischen Konfliktes unsichtbar, deren Wirklichkeit ein Ursprung dieser Kampagne ist.


Der New Israel Fund tritt selbstverständlich für das Recht auf Selbstbestimmung des jüdischen Volkes und für das Existenzrecht Israels ein. Aber wir treten auch für die nationale Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes ein. Deshalb unterstützen wir eine Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts, die beiden Völkern gegenseitige Anerkennung und nationale Selbstbestimmung garantiert. Für uns bleibt die Zwei-Staaten-Regelung diejenige Perspektive, die am ehesten sowohl die kollektiven Rechte beider Völker als auch innerhalb dieser Kollektive die individuellen Rechte aller Bürger*innen gewährleisten kann.


Seit 1948 wurde das Selbstbestimmungsrecht des jüdischen Volkes realisiert, während die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts für das palästinensische Volk aufgeschoben wurde. Eine Realität der Ungleichheit mit unterschiedlichen Rechten für unterschiedliche Bevölkerungsteile wird in der Region zwischen Mittelmeer und Jordan immer mehr festgeschrieben. Wem an einer Regelung des Konflikts gelegen ist, muss sich dieser Realität und der sie begleitenden Frage stellen, wie für alle Menschen, die zwischen Mittelmeer und Jordan leben, gleiche Rechte – individuell und kollektiv – hergestellt und gesichert werden können.


Insbesondere aufgrund seiner historischen Verantwortung für das präzedenzlose Menschheitsverbrechen der Shoah, ist Deutschland in vielfältiger politischer und finanzieller Weise mit Israel und mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt verbunden und dort involviert. Angesichts derjenigen, die behaupten, der Konflikt sei unlösbar, ist eine offene und ernsthafte Diskussion der Frage, wie für Israel undPalästina Frieden geschaffen werden kann, in Israel und in Deutschland notwendig.Nur so wird es – auch wegen des weiterhin vorhandenen Antisemitismus – möglich sein, ein nachhaltigeres Fundament für die deutsch-israelischen Beziehungen zu schaffen.

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